Kalzium bei veganer Ernährung: die wichtigsten Informationen
Kalzium ist mengenmäßig der bedeutendste Mineralstoff im menschlichen Organismus und wird zu 99 % in den Zähnen und Knochen gespeichert.1 Lediglich das letzte Prozent befindet sich außerhalb des Skeletts und der Zähne, erfüllt aber auch dort wichtige Aufgaben. Neben seiner großen Bedeutung für die Knochengesundheit hat eine gute Kalziumversorgung einen wichtigen Einfluss auf die Muskulatur bzw. die Muskelkontraktion, die Reizübertragung im Nervensystem, die Blutgerinnung, die Stabilisierung der Zellmembran und eine Reihe weiterer Vorgänge im Körper.2
Die Werbung suggeriert uns, dass Milch- und Milchprodukte ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Speiseplans sind, damit wir ausreichend mit Kalzium versorgt sind. Aber müssen wir wirklich im Erwachsenenalter die Muttermilch einer artfremden Spezies konsumieren, um genügend Kalzium für gesunde Knochen zu erhalten und wie erhielten Menschen zehntausende von Jahren vor der Domestizierung von Nutztieren ohne Milch starke Knochen?
Eine gute Kalziumversorgung ist auch ohne Milch möglich
Milch gilt zwar als der Inbegriff des optimalen Kalziumlieferanten für gesunde und starke Knochen und so assoziieren viele Menschen einen Verzicht auf Kuhmilch im Rahmen einer veganen Ernährung daher nicht nur mit einem Mangel an Kalzium, sondern auch mit einer schlechteren Knochengesundheit. Kalzium kann zwar tatsächlich ein kritischer Mineralstoff in der veganen Ernährung sein, jedoch kann eine gut geplante pflanzliche Kost sowohl die Kalziumversorgung als auch die langfristige Knochengesundheit sicherstellen.3 Milch war in der Geschichte der Menschheit ohnehin nicht immer ein derart weit verbreitetes Lebensmittel wie heutzutage und immer noch sind weltweit etwa 70 % der Erwachsenen (in Deutschland zirka 20%)4 nicht in der Lage den Milchzucker (Laktose) in Milch und einigen Milchprodukten beschwerdefrei zu verdauen.5 Da Laktose abseits der Muttermilch in keinem anderen gängigen Lebensmittel in der Ernährung des Menschen vorkommt, ist es nachvollziehbar, dass ursprünglich nach dem Abstillen auch die Laktaseproduktion vom Körper eingestellt wurde, weil sie nicht mehr vonnöten war.6 Die Ausweitung des Milchkonsums über die Stillzeit hinaus ist dabei ein verhältnismäßig junges Phänomen, das eine genetische Anpassung in der Enzymproduktion erforderte. Dass man also als Jugendlicher und Erwachsener keine Muttermilch verträgt, muss nicht zwingend als Abnormalität angesehen werden, sondern ist weltweit betrachtet eher die Norm als die Ausnahme.
Da Milch von artfremden Spezies bis vor etwa 10.000 Jahren in der Ernährung des Menschen keine bedeutende Rolle spielte, Fleisch, Fisch und Eier quantitativ verhältnismäßig wenig Kalzium liefern und die Bioverfügbarkeit an Kalzium in Insekten fraglich und die Menge schwankend ist, rücken zwangsweise pflanzliche Kalziumquellen in den Fokus der Betrachtung. Diese haben aller Wahrscheinlichkeit nach einen überwiegenden Teil zur Kalziumversorgung im Laufe der menschlichen Evolution bis zum Zeitpunkt der neolithischen Revolution beigetragen.7 Erst mit dem Übergang zum Ackerbau und der Viehzucht im Rahmen der neolithischen Revolution begann die Muttermilch anderer Spezies, zumindest in einigen Teilen der Welt, eine bedeutende Rolle in der Kalziumversorgung des Menschen zu spielen.8 Wesentlich bedeutsamer als die Frage nach der Kalziumversorgung früherer Menschen ist für Veganer aber ohnehin, wie in der heutigen Zeit mit den zur Auswahl stehenden pflanzlichen Lebensmitteln eine adäquate Kalziumversorgung gewährleistet und wie langfristig die Knochengesundheit vegan lebender Menschen optimiert werden kann.
Die Kalziumversorgung vegan lebender Menschen
Untersuchungen zeigen, dass vegan lebende Menschen im Durchschnitt eine geringere Kalziumzufuhr als vegetarisch und mischköstlich essende Menschen haben.9 Eine Metaanalyse von vergleichenden Untersuchungen zwischen Mischköstlern, Vegetariern und Veganern zeigte darüber hinaus, dass die veganen Gruppen auch eine etwas geringere Knochenmineraldichte im Vergleich zu den mischköstlich und vegetarisch essenden Personen aufwiesen.10 Die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Unterschiede sind laut den Wissenschaftlern allerdings unbedeutend. In vielen Fällen gilt es, bei vergleichenden Untersuchungen zwischen unterschiedlichen Ernährungsmustern nicht nur zu fragen, welche Gruppe die höhere Zufuhr einzelner Nährstoffe aufweist, sondern auch, wie die gesundheitlichen Auswirkungen davon sind. So fand beispielsweise die »EPIC Oxford Study« bei Veganern im Vergleich zu vegetarisch und mischköstlich essenden Menschen trotz insgesamt niedrigerer Kalziumzufuhr keine höhere Rate an Knochenbrüchen, solange die veganen Personen mindestens die Hälfte der DGE-Kalziumempfehlung zuführten.11 Eine weitere vergleichende Untersuchung aus Vietnam zeigte in Bezug auf die Knochenmineraldichte, den Knochenabbau und die Frakturrate keine Unterschiede zwischen veganen und mischköstlichen Probanden und Probandinnen, obwohl die vegane Gruppe nur etwa halb so viel Kalzium aufnahm wie die mischköstliche Gruppe.12
Um auf Nummer sicher zu gehen, sollten sich erwachsene westliche vegan lebende Personen bis auf Weiteres dennoch an die in diesem Artikel in der Tabelle aufgelisteten D-A-CH-Referenzwerte für die Kalziumzufuhr halten und diese durch pflanzliche Quellen mit guter Bioverfügbarkeit decken und einen Fokus auf die Optimierung der Bioverfügbarkeit legen, wie im vertiefenden Video zur Optimierung der Kalziumabsorption erklärt wird. Die im Artikel gezeigte Abbildung gibt einen Überblick zu den im Video genannten aufnahmefördernden Stoffen für die Kalziumversorgung, für die vor allem eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung von größter Bedeutung ist und die langfristige Knochengesundheit ebenso sehr betrifft wie die Kalziumversorgung selbst.
Kalziumhaltige pflanzliche Lebensmittel
Den Kalziumbedarf rein pflanzlich zu decken, muss nicht zwingend eine große Herausforderung darstellen. Neben einigen von Natur aus kalziumreichen pflanzlichen Lebensmitteln haben Produzenten von Pflanzenmilch und Tofu mittlerweile optimierte Produktionstechniken entwickelt, die diese Produkte zu besonders guten veganen Kalziumlieferanten machen und sogar einige Mineralwassersorten enthalten genügend Kalzium, um alleine durch die Deckung des Flüssigkeitsbedarfs auch den Kalziumbedarf zu decken. Das Kalzium aus Mineralwasser ist dabei mindestens so gut bioverfügbar wie Kalzium aus Kuhmilch.13 Einige Untersuchungen legen sogar nahe, dass Kalzium aus Mineralwasser besser bioverfügbar ist.14,15 Die Abbildung in diesem Artikel gibt einen Überblick über die besten Kalziumlieferanten in der veganen Ernährung.
In den meisten Fällen wird die Kalziumzufuhr bei veganer Ernährung mithilfe von drei Gruppen an pflanzlichen Lebensmitteln sichergestellt. Diese liefern jeweils ein Drittel des Tagesbedarfs und können so zusammengenommen eine ausreichende Bedarfsdeckung erzielen. Das erste Drittel des Kalziumbedarfs kann leicht über oxalsäurearme Gemüse mit mittelhohem bis sehr hohem Kalziumgehalt wie Grünkohl, Rucola, Brennnesseln und Brokkoli sowie einigen kalziumreichen Samen und Nüssen wie Sesam, Chiasamen, Leinsamen, Mandeln, Haselnüssen und weiteren gedeckt werden. All diese Lebensmittel liefern mittlere bis teils hohe Kalziumgehalte mit mittlerer bis sehr hoher Bioverfügbarkeit und schon moderate Mengen von ihnen decken spielend das erste Drittel des Tagesbedarfs an Kalzium. Das zweite Drittel des Tagesbedarfs können kalziumreiche Pflanzenmilchsorten liefern. Wichtig ist es, auf jene Sorten zurückzugreifen, die mit der Bezeichnung »mit Kalzium« oder »+ Kalzium« versehen sind, weil Pflanzenmilch nicht per se ein guter Kalziumlieferant ist, sondern es erst durch eine Kalziumanreicherung wird.
Wann immer vegan lebende Menschen also Pflanzenmilch konsumieren, sollten diese kalziumreichen Sorten die erste Wahl sein, weil bereits eine Portion in Höhe von 250 ml etwa ein Drittel des Tagesbedarfs deckt. Angereicherte Pflanzenmilch liefert dabei Kalzium in einer ähnlich guten Bioverfügbarkeit wie es bei Kuhmilch der Fall ist.16 Auch Tofu kann in Abhängigkeit der Herstellungsart ein sehr guter Kalziumlieferant sein. Daher lohnt sich beim Kauf ein Blick auf die Zutatenliste, um zu sehen, welches Gerinnungsmittel im Herstellungsprozess des Tofus verwendet wurde. Wenn sogenanntes Kalziumsulfat verwendet wurde, ist dies auch auf der Zutatenliste vermerkt und man kann davon ausgehen, dass dieser Tofu zwischen 150–220 mg Kalzium pro 100 g enthält und damit eine weitere ausgezeichnete Kalziumquelle ist.17 Daher sollten entweder eine kalziumreiche Pflanzenmilch oder ein mit Kalziumsulfat hergestellter Tofu auf täglicher Basis zugeführt werden, um mit einem dieser exzellenten Kalziumlieferanten das zweite Drittel des täglichen Tagesbedarfs zu decken. Das letzte Drittel liefert die Summe von anderen kalziumärmeren pflanzlichen Lebensmitteln wie Vollkorngetreide, Pseudogetreide, Hülsenfrüchte, (Blatt-)Gemüse und andere Nüsse und Samen, die für sich genommen zwar keine besonders großen Kalziummengen enthalten, aber im Rahmen einer kaloriendeckenden Ernährung dennoch zusammen ein Drittel des Tagesbedarfs liefern können.
Tabelle 2 listet abschließend die häufigsten Vorurteile gegenüber der veganen Ernährung in Bezug auf die vegane Kalziumversorgung auf und berichtigt diese kurz und knapp.
Tab. 2: Vorurteile gegenüber der Kalziumversorgung bei veganer Ernährung
Vorurteil | Realität |
---|---|
Durch eine vegane Ernährung erhält man nicht genügend Kalzium. | ► Eine kalorisch adäquate vegane Ernährung mit einem Fokus auf kalziumreiche pflanzliche Lebensmittel ergänzt durch kalziumreiche Pflanzenmilch kann den Tagesbedarf einwandfrei decken. |
Kalzium aus Pflanzen ist schlechter verfügbar als aus Milch. | ► Die Absorptionsrate unterscheidet sich von Lebensmittel zu Lebensmittel, aber einige Pflanzen weisen eine teils doppelt so hohe Bioverfügbarkeit von Kalzium auf, als dies beispielsweise bei Kuhmilch der Fall ist. Viele Pflanzen haben auch eine etwa gleichwertige Bioverfügbarkeit wie Kuhmilch. Nur wenige sehr oxalsäurereiche Pflanzen haben tatsächlich eine sehr geringe Kalzium-Bioverfügbarkeit. Durchschnittlich kann eine gut geplante vegane Ernährung eine vergleichbare Kalziumverfügbarkeit wie eine Mischkost bieten. |
Vegan lebende Menschen haben aufgrund der schlechteren KalziumVersorgung ein höheres Risiko für Osteoporose. | ► Vegan lebende Personen mit einer adäquaten Kalziumzufuhr über pflanzliche Lebensmittel haben keine höheren Osteoporoseraten im Vergleich zu Vegetariern und Mischköstlern. Eine schlecht geplante vegane Ernährung kann hingegen – so wie auch andere nichtbedarfsdeckende Ernährungsweisen – das Risiko für Osteoporose erhöhen. |
Kalzium ist der wichtigste Nährstoff für die Knochengesundheit. | ► Kalzium ist ein sehr wichtiger Bestandteil für die Knochengesundheit, aber auch eine ganze Reihe von weiteren Mineralstoffen, Vitaminen, sekundären Pflanzenstoffen sowie einige Fett- und Aminosäuren tragen zur Erlangung und Aufrechterhaltung einer hohen Knochenmineraldichte bei. Ohne ausreichend Vitamin D, sportliche Betätigung und die Summe all der anderen Nährstoffe führt auch eine hohe Kalziumzufuhr alleine nicht zum optimalen Schutz der Knochengesundheit und somit ist die Kalziumzufuhr bei (bei veganer Ernährung) nicht der einzige entscheidende Faktor. |
Sämtliche wichtigen Informationen zum Thema Kalziumversorgung bei veganer Ernährung gibt es im Buch „Vegan-Klischee ade!“ von Niko Rittenau sowie in seiner mehrteiligen Videoreihe rund um das Thema Kalzium auf YouTube.
Autor: Niko Rittenau
Titel: Vegan-Klischee ade!
Verlag: Ventil Verlag
ISBN: 3954531895
Quellen
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- Schweizerische Gesellschaft für Ernährung. (2013). Ernährung bei einer Laktoseintoleranz. Verfügbar unter https://bit.ly/2KaaCYF ↩︎
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- Knopfler, M. (2016). How Compatible is Cow’s Milk with the Human Immune System? The Science Journal of the Lander College of Arts and Sciences. 9(2), 182–190 ↩︎
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