
Gastbeitrag von Niko Rittenau: Was ist eine gesunde pflanzliche Ernährung?
Die 3 Aspekte gesunder Kost
1. Die Bedarfsdeckung lebensnotwendiger Nährstoffe
Selbiges gilt auch für viele der Nährstoffe, die man primär mit pflanzlichen Lebensmitteln assoziiert, die durch bestimmte Verarbeitungsschritte wie die Fermentation aber auch in nicht-pflanzliche Lebensmittel integriert werden können. Zwar ist es korrekt, dass man beispielsweise Vitamin B12 überwiegend in tierischen Lebensmitteln findet, oder Vitamin C überwiegend in pflanzlichen, aber beide Vitamine können auch von Bakterien hergestellt werden und somit können durch richtige Fermentationstechniken sowohl B12-reiche pflanzliche Lebensmittel als auch Vitamin-C-reiche tierische Lebensmittel produziert werden.
Da die Lebensmittelindustrie derartige Techniken allerdings noch nicht in ausreichendem Maße einsetzt, wird in der veganen, also quasi rein pflanzlichen Ernährung, ebenso wie in anderen pflanzenbetonten Ernährungsweisen unter anderem ein Vitamin-B12-Supplement empfohlen und in der karnivoren, also quasi rein tierischen Ernährung, ebenso wie in jeder sehr Pflanzen-armen Ernährung unter anderem die Supplementierung von Vitamin C. Entgegen einer weiteren weit verbreiteten Meinung sind „synthetisch“ hergestellte Vitamine wie B12 oder Vitamin C aus Nahrungsergänzungsmitteln ebenso wirksam wie aus einem Lebensmittel und unserem Organismus ist der Ursprung eines Vitamins vollkommen egal, solang die Dosishöhe und die Qualität stimmen.
Dies führt zu einem weiteren Grundsatz: Die Natürlichkeit einer Sache ist weder ein Argument für noch gegen etwas. Die Tatsache, dass ein Nährstoff oder ein Lebensmittel „künstlich“ bzw. „unnatürlich“ ist, sagt nichts über dessen Wert aus. Die Frage ist nicht, ob eine Sache (also in diesem Fall ein Vitamin oder ein Lebensmittel) vermeintlich natürlich oder unnatürlich ist, sondern ob die regelmäßige Zufuhr gesund oder ungesund, umweltschonend oder umweltzerstörend oder ethisch oder unethisch ist. Das sind Bewertungen, um die wir uns in Sachen Humanernährung kümmern sollten, und nicht um die Natürlichkeit. Diese als Argument für etwas zu benutzen wird als Natürlichkeitsfehlschluss bezeichnet.
2. Die Vermeidung von Überschüssen an Stoffen mit schädlicher Wirkung in zu hoher Dosis
Das Risiko ist sowohl bei starker Unter-, als auch starker Überversorgung hoch und reduziert sich je weiter sich die Zufuhrhöhe in Richtung der Zufuhrempfehlungen bewegt. Eine Optimalzufuhr ist dabei kein einzelner Punkt, sondern eine gewisse Spanne an Zufuhrmengen mit unterschiedlicher Breite; je nach jeweiligem Nährstoff. Ziel sollte es sein, im Wochendurchschnitt die Zufuhrempfehlungen der Nährstoffe zu erreichen und nicht weit darunter zu liegen, aber ebenso auch sicherzustellen, dass man die langfristige tägliche Maximalzufuhr der einzelnen Nährstoffe im Wochendurchschnitt nicht maßgeblich überschreitet. Auch bei gängigen Stoffen in unserer Ernährung, bei denen weitestgehender Konsens über deren gesundheitlich abträgliche Wirkung bei hohen Zufuhrmengen besteht, ist es dennoch eine Frage der Dosis und nicht jede Menge schadet.
Daher sind weder Zucker, Alkohol, Koffein, gesättigte Fettsäuren oder andere im Übermaß zugeführte Substanzen in der Ernährung zwingend zur Gänze zu streichen, sondern es gilt, die von den Fachgesellschaften für diese Stoffe festgelegten Grenzwerte einzuhalten und insgesamt eine gesunde Ernährung zu pflegen, da – und auch dies ist ein weiterer Grundsatz der Ernährungswissenschaft – die Gesamtheit der Lebensmittelauswahl über die Wirkung einzelner Komponenten innerhalb der Ernährung entscheidet. Lebensmittel sind stets als Gesamtpaket zu betrachten und sollten nicht reduktionistisch anhand einzelner Komponenten betrachtet werden. Unterschiedliche Stoffe in Lebensmitteln können synergetisch oder antagonistisch wirken und daher sind Studien mit isolierten Stoffen stets mit Skepsis zu betrachten. Es gibt – und das ist natürlich sehr plakativ ausgedrückt – keine ungesunden Lebensmittel, sondern nur ungesunde Ernährungsweisen. Denn ebenso wenig wie ein vermeintlich gesunder Apfel pro Tag den gesundheitlichen Wert einer ansonsten katastrophalen Ernährung kompensieren kann, wird aus gesundheitlicher Sicht auch der mäßige Konsum von Süßigkeiten oder anderen vermeintlich ungesunden Lebensmitteln im Rahmen einer insgesamt gesunden Ernährung unter Beachtung der hier vorgestellten drei Aspekte ebenso keine gesundheitlich abträglichen Effekte erzielen. Oder vereinfacht gesagt: Wenn die Ernährung insgesamt gesund konzipiert ist, ist es unserem Körper vollkommen egal, ob man nun täglich einen Schokoriegel isst oder nicht. Selbst Stoffe, die als krebserregend gelten, sind es nicht per se, sondern nur ab gewissen Konzentrationen.
3. Die ausreichende Zufuhr bioaktiver Substanzen
Schlussfolgerung
Wie groß der Einfluss einer gesunden Ernährung auf die menschliche Gesundheit ist, zeigt eine 2022er Studie (doi 10.1371/journal.pmed.1003889) in Hinblick auf die Lebenserwartung: Die in der Studie als „optimale Ernährung“ charakterisierte Ernährung war (wenn sie mit Beginn der 20er Jahre begonnen wurde) mit einer Erhöhung der Lebenserwartung um durchschnittlich 10 Jahre assoziiert. Selbst ein Umstieg auf eine gesunde Ernährung in den nachfolgenden Jahrzehnten erhöhte die Lebenserwartung aber ebenso noch um mehrere Jahre und daher ist es (fast) nie zu spät für eine positive Veränderung. Was die Wissenschaftler in der Publikation als optimale Ernährung beschrieben deckt sich weitestgehend mit den Empfehlungen jeder einzelnen Ernährungs- und Gesundheitsgesellschaft rund um den Globus: Eine überwiegend pflanzliche, vollwertige Ernährung mit einem hohen Anteil an Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Obst, Gemüse und Nüssen, sowie ein moderater Verzehr an Omega-3-reichen Fischen, ein nur moderater Verzehr an Fleisch und anderen tierischen Lebensmitteln und deutlich weniger zugesetzter Zucker, weniger Weißmehl und weniger rotes und verarbeitetes Fleisch, als es derzeit üblich ist. Dass man jedoch selbst den hervorgehobenen tierischen Lebensmittelanteil in Form von Fisch für die Omega-3-Bedarfsdeckung grundsätzlich umgehen kann, zeigt der ausführliche Omega-3-Artikel auf VeganNews. Fische akkumulieren in ihrem Gewebe lediglich jene Fettsäuren im Laufe der Nahrungskette, die ursprünglich von Mikroalgen und marinen Pilzen produziert wurden und somit sind sie gar nicht die eigentliche Quelle hierfür. Somit spricht bei guter Umsetzung nichts gegen und sehr viel für eine pflanzliche Ernährung, die sowohl gut für das Individuum, die (Welt)Bevölkerung, die Umwelt und alle anderen nicht-menschlichen Tiere ist.
Weitere Informationen zum Thema der gesunden pflanzlichen Ernährung gibt es im Standardwerk “Vegan-Klischee ade!“ von Niko Rittenau sowie in den Ernährungsvideos auf seinem YouTube-Kanal.

Autor: Niko Rittenau
Titel: Vegan-Klischee ade!
Verlag: Ventil Verlag
ISBN: 3954531895