News
22. Juni, 2023 / Jakob Jonas

Irland: Regierung erwägt Tötung zehntausender Kühe als Klimaschutzmaßnahme

In einem aktuellen Vorschlag des Landwirtschaftsministeriums in Dublin wird diskutiert, ob in den kommenden drei Jahren fast 200.000 Milchkühe in Irland getötet werden sollten, um die Klimaziele des Landes im Rahmen der EU-Verordnung zur Lastenteilung zu erreichen. Diese potenzielle Maßnahme hat bei den 18.000 irischen Milchbauern große Besorgnis ausgelöst, da sie befürchten, dass ein erheblicher Teil ihres Viehbestands betroffen sein könnte.

Angesichts der großen Bedeutung des Agrarsektors für die irische Wirtschaft und die ländlichen Gemeinden ist die Debatte über die Verringerung des Viehbestands und die damit verbundenen Auswirkungen in der gesamten Bevölkerung äußerst kontrovers – und das nicht nur in Irland selbst. Die vielfach geteilte Schlagzeile über die „geplante Tötung“ zehntausender Rinder hat zu enormen Diskussionen in den sozialen Medien auch hier in Deutschland geführt.

Was ist nun die genaue Sachlage?

Die Klimaziele der irischen Regierung sehen vor, die Emissionen des Agrarsektors in Irland bis 2030 um 4 bis 20 Prozent zu reduzieren. Gleichzeitig strebt das Land insgesamt eine Reduzierung der Emissionen um 30 Prozent im Vergleich zu 2005 an. Das Landwirtschaftsministerium erwägt nun ein freiwilliges Klimaprogramm zur Verringerung des Milchviehbestands, um zumindest zu versuchen diese Klimaziele zu erreichen. Dieses Programm würde den Landwirten finanziell attraktive Optionen bieten, einschließlich der Diversifizierung ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeiten. Im internen Papier des Ministeriums ist von der Entfernung von rund 65.000 Milchkühen pro Jahr in den nächsten drei Jahren die Rede.

Die Regierung betont, dass es sich bei dem Papier um einen Teil eines Beratungsprozesses handelt und noch keine endgültige politische Entscheidung getroffen wurde. Sie zeigt sich jedoch fest entschlossen, den Landwirten Unterstützung anzubieten und finanzielle Anreize zu schaffen, um freiwillige Maßnahmen zur Reduzierung des Milchviehbestands umzusetzen. Es wird erwähnt, dass eine mögliche Entschädigung von 3000 Euro pro Kuh und jährlich 200 Millionen Euro bis 2025 vorgesehen sein könnte.

Sinn oder Unsinn?

Der Milchsektor in Irland ist im Verhältnis zur eigenen Bevölkerung einer der größten der Welt – es gibt dort mehr Kühe als überhaupt Menschen. Insofern ist die Diskussion über die Reduktion des Rinderbestands, und damit auch vom Ausstoß der überdurchschnittlich schädlichen Methangase, durchaus sinnvoll. Und übrigens auch nicht auf Irland beschränkt. Auch in anderen Ländern wie Frankreich wird über die Strategie zur Verringerung des Rinderbestands diskutiert. Der französische Rechnungshof hat vor kurzem betont, dass die subventionierte Rinderhaltung für 11,8 Prozent der Treibhausgasemissionen in Frankreich verantwortlich ist und dass eine deutliche Verringerung des Viehbestands notwendig sei, um den Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel nachzukommen.

Die Debatte um die Verringerung des Milchviehbestands in Irland und anderen Ländern verdeutlicht die großen Herausforderungen im Agrarsektor im Hinblick auf den Klimawandel. Es müssen dringend Lösungen gefunden werden, die sowohl die Klimaziele unterstützen als auch die Interessen der Landwirte und die Lebensgrundlage ländlicher Gemeinden berücksichtigen.

Das eigentliche Problem

Doch so verzwickt dieses moralische Dilemma sich nun auch anfühlen mag, es ist nicht die eigentliche Krux an der Geschichte der irischen Milchkuh-Schlachtungs-Headline. Das noch größere Problem ist, wie sehr oft, die Instrumentalisierung der Schlagzeile aus Kreisen, die damit gegen Klimaschutz und -aktivismus hetzen. Schon am 3. Juni hat ein Tweet von Elon Musk dazu geführt, dass die gesamte Thematik in die Trends der sozialen Medien gerutscht ist. Er schrieb: „Das muss aufhören, Kühe töten bringt nichts gegen den Klimawandel“.

Musks Tweet war eine Antwort auf den Tweet von Influencerin Ashley St. Claire, selbsternannte Freiheitsaktivistin, Anti-Feministin und Trump-Supporterin. Sie postete die Schlagzeile zur Tötung von 200.000 Milchkühen mit dem Kommentar: „Der Drang, das Leben von Tieren und Menschen im Namen des ‚Klimaaktivismus‘ zu beenden, ist von Grund auf böse“. Rhetorisch natürlich sauber im Stile der Anti-Woke-Bewegungen und damit auch der Kreise, die die Klimakrise verharmlosen.

Die Idee, die riesig anmutende Zahl von 200.000 Tieren „nur“ des Klima wegen töten zu lassen, klingt wohl für jeden Menschen im ersten Moment makaber – und genau diese aus dem Kontext gerissene Aussage nutzte diese Blase nun, um wieder einmal richtig Stimmung zu machen, gegen die fehlgeleitete oder, in St. Claires Worten, „böse“ Klimapolitik. Funktioniert hat die emotionalisierte Meinungsmache leider – was für uns im Angesicht der hohen Zahl an getöteten Lebewesen aber auch verständlich ist.

… Zumindest so lange, bis man dann dieser Zahl die Zahl der alleine in 2020 in Deutschland geschlachteten Rinder entgegenstellt. Denn dann hat man erneut ein Beispiel einer großen kognitiven Dissonanz gefunden: Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wurden 2020 allein in Deutschland 3,2 Millionen Rinder gewerblich geschlachtet. Innerhalb lediglich eines Jahres. Und schon wirkt die gesamte Diskussion absurd – es stellt sich die Frage, weshalb der Aufschrei über den Tod von 200.000 Kühen ein größerer ist, als über die mehreren Millionen Tiere, die jährlich allein in Deutschland – nicht mal für das Klima, sondern schlicht für den menschlichen „Genuss“ – sterben müssen.

Es ist ein Dilemma

Dass es solche Headlines und Diskussionen also überhaupt gibt, scheint aus veganer Perspektive absurd – denn es ist klar, dass jedes unnötig oder grundlos getötete Wesen eines zu viel ist. Das gilt für die theoretischen 200.000 Kühe in Irland genauso wie für die jährlich 3,2 Millionen realen getöteten Tiere in der deutschen Fleischwirtschaft. Dass diese Nachricht von Menschen missbraucht wird, die weder für Klima noch für Tiere ernsthaft Gutes im Sinn haben, ist das eigentliche Dilemma. Und dass damit dann nur Verwirrung über Sinn und Unsinn von Klimaschutzmaßnahmen gestreut werden konnte, ist so etwas wie das Sahnehäubchen auf der Anti-Woke-Torte. Die Klimawandelleugner freuts.

Nach wie vor sprechen wir aus der Redaktion uns auch an dieser Stelle für eine generelle Reduktion aller Tierhaltungen aus – der wirklich einzigen, langfristig wirksamen Lösung zur Sicherung des Tierwohls und des Klimas. Und dies eher präventiv als reaktiv. Mit reduzierten Nachzuchten statt nachträglichem Töten. Und irgendwann einer Welt, in der weder der menschliche Geschmackssinn noch die irischen Milchbauern auf Kuhmilch angewiesen sind.

Artikel teilen