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25. Oktober, 2023 / Jakob Jonas

Vegan: Haben wir ein Image-Problem?

Der Veganismus hat es längst aus der Öko-Nische raus, rein in den gesellschaftlichen Mainstream geschafft. Immer mehr Menschen verzichten laut eigener Aussage auf tierische Produkte und auch jedes größere Unternehmen macht sich diesen Trend zu nutze. Doch gleichermaßen polarisiert das Thema mehr als je zuvor. Die „Darauf erstmal ein Steak“-Bemerkungen oder die unfassbar kreativen Tofurezepte in Kommentarspalten unter veganen Kochvideos, die dazu raten den Tofu im Müll zu entsorgen und sich stattdessen ein riesiges Stück Fleisch zu braten, lassen meist nicht lange auf sich warten.

Dabei findet man solch anspruchsvolle Kommentare nicht nur in den Tiefen des World Wide Webs. Auch im Wahlkampf großer Parteien hat das Thema Fleischverzicht seinen festen Platz gefunden. Markus Söder diagnostiziert den Grünen eine Fleisch- und Wurstphobie und will sich den Schweinebraten auf keinen Fall verbieten lassen. Alice Weidel äußerte unlängst, sie lasse sich nicht ihr Schnitzel wegnehmen und Hubert Aiwanger begeisterte Anfang des Jahres mit folgendem Tweet seine treue Twitter-Gemeinde:

Esst Fleisch, Butter und trinkt Milch und sorgt dafür, dass die heimische Landwirtschaft mit Tierhaltung Zukunft hat! Almwiesen werden nicht von Grünen und Wölfen gepflegt und erhalten, sondern von Kühen und Bergbauern! GesunderMenschenverstand statt Mangelernährung!

— Hubert Aiwanger (@HubertAiwanger) June 4, 2023

Glaubt man Aiwanger, wollen die mangelernährten Veganer den armen restlichen Mitbürgern also das Schnitzel wegnehmen. Klingt nach tiefer, gesellschaftlicher Spaltung.

Gerade für den Veganimus – als gesellschaftliche Bewegung, die so sehr auf ethischen Beweggründen fußt – ist es eigentlich essenziell gemocht zu werden. Zumindest insoweit, dass die erste Reaktion von Menschen, die mit dem Thema in Berührung kommen, nicht sofortige Ablehnung oder Widerstand ist. Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) ergab allerdings erst kürzlich, dass Fleischesser mit einer signifikant geringeren Wahrscheinlichkeit pflanzliche Gerichte wählten, wenn sie als vegan gelabelt waren.

Da stellt sich doch die Frage: Woher kommt diese offensichtliche Ablehnung? Und wieso wurde der Verzicht auf Fleisch und tierische Produkte so extrem zum gesellschaftlichen Streitthema? Ist es einfach leicht verdienter Applaus in Bierzelt- und Stammtischtradition? Ein weiteres Feindbild – neben Personen, die gendern, oder sich für das Klima auf die Straße kleben? Vielleicht ist die Ergänzung zu „Gendergaga“ und „Klimaterrorismus“ der „Vegan-Wahnsinn“?

Vielleicht ist es auch einfach eine tief sitzende Angst vor Veränderung? In Bayern – wo wir doch gerade bei Söder und Aiwanger waren – haben vor einigen Wochen erste knapp 70 Prozent der Bevölkerung Parteien des politisch rechts-konservativen Spektrums gewählt. Und auch für Friedrich Merz, Vorsitzender der größten Partei hierzulande, sind es gerade die Grünen mit ihrer „Volkserziehungsattitüde“, die er zum Erzfeind ausruft. Nach Aufbruch in Richtung einer nachhaltigeren und tierleidfreien Zukunft sieht das für mich jedenfalls nicht aus.

Doch – kann mir diese Frage jemand ehrlich mal beantworten – warum nerven wir denn nun so? Ist es schlicht ein festgefahrenes Narrativ, dass Horden an Veganern durch Kommentarspalten und Straßen ziehen und versuchen Fleischesser zu bekehren? In meinem persönlichen Umfeld gibt es diese Art Veganer jedenfalls nicht. Also diejenigen, die sich neben ihre omnivoren Freunde setzen und – während diese genüsslich ihr Schnitzel essen – versuchen, sie davon zu überzeugen, dass doch eigentlich auch nur der Kartoffelsalat ausreicht. Meistens wird einfach für alle das Gleiche gekocht – und wenn die vegane Bolognese genau so lecker ist wie eine nicht-vegane, überlegt der Nicht-Veganer es sich vielleicht beim nächsten Mal doppelt, ob er nicht doch zum Tofu greifen will. Und dann greift er nach langem Hin und Her eben vielleicht zum Tofu, guckt sich ein YouTube-Video mit einem Rezept für vegane Bolognese an – und der oberste Kommentar erklärt ihm, dass der Tofu am besten schmeckt, wenn er ihn in den Müll wirft und sich ein richtig großes Steak brät.

Naja. Zwei Sachen sollten wir wenigstens mitnehmen: Kocht mehr vegane Bolognese und lest auf keinen Fall YouTube-Kommentare!

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