News
2. März, 2024 / Elena Arnold

Sollte ich vegane Produkte vom Fleischproduzenten kaufen?

Im heutigen Kommentar stellt sich unsere Redakteurin Elena die Frage, ob es gerechtfertigt ist, vegane Produkte von Firmen zu kaufen, die auch tierische Produkte produzieren. Vom mulmigen Gefühl im Supermarkt und wirtschaftlichem Wandel

vegane produkte von nicht-veganen firmen, vegan news, hahn, einkaufswagen, vegan einkaufen
@ Canva, Collage: VN

Sollte ich vegane Produkte von Firmen kaufen, die auch tierische Produkte herstellen? Vielleicht sogar ursprünglich für ihre tierischen Produkte bekannt sind? Diese Frage stelle ich mir häufig – zuletzt, als ich eine Packung veganen Lachsschinken in der Hand hatte. Normalerweise würde ich die Marke an dieser Stelle nicht nennen… ich muss es aber, um meinen Punkt zu machen. Die Lachsschinken-Alternative von Gutfried hat es mir einfach angetan. 

Es mag sein, dass es an großer Nostalgie liegt: Wie viele andere bin ich nicht in eine vegetarische oder vegane Familie mit entsprechenden Essgewohnheiten hineingeboren. Im nördlichen Bayern ist es bis heute normal, fleischlastig zu essen. So war es auch bei uns. Lachsschinken lag oft auf dem Tisch, wenn wir mit der Familie frühstückten.

Unter diesem Aspekt allein ist es nicht verwunderlich, dass ich den veganen Lachsschinken nach über 10 Jahren fleischloser Ernährung enthusiastisch begrüße. Vor allem, weil sich Konsistenz und Geschmack kaum von meiner Erinnerung an den “real deal” unterscheiden. 

Ein ungutes Gefühl

Und doch begleitet jeden Einkauf der Packung ein leicht komisches Gefühl, wenn mir auffällt, dass Gutfried für ihre vegane Produktlinie sogar ihr Logo ändern musste. Den weißen Schriftzug auf rotem Grund begleitet nämlich eigentlich die Silhouette eines Hahns – für die fleischlose Produktlinie ziert die Packungen stattdessen eine V-förmige Pflanze, die ans Vegan-Label erinnert.

Das ursprüngliche Gutfried-Logo ist nur eines von vielen romantisierenden Beispielen in der Werbung für tierische Produkte: Es reiht sich – etwas abstrakter zwar, aber dennoch – ein, in die Abbildungen unversehrter Tiere auf tierischen Produkten. Zum Beispiel von glücklichen Kühen auf der malerischen Weide, die in nahezu jeder Werbung für Milchprodukte zu finden sind – mit der Realität aber kaum weniger zu tun haben könnten. Kurzum: Das abstrakte Hahn-Logo und das romantisierte Foto der Kuh, beides sind im Grunde Verschleierungstaktiken für das, was diese Firmen tagtäglich massenhaft tun oder tun lassen: Das Nutzen, Verletzen und Töten von Tieren.

Das mulmige Gefühl im Bauch, das ich habe, wenn ich dann also die veganen Produkte solcher Firmen kaufe, das stammt genau daher. Ich bin mir bewusst, dass das Geld, mit dem ich die veganen Produkte kaufe, im Endeffekt bei einer Firma ankommt, die in ihren Handlungen mit einer veganen Lebensweise und Ethik wenig am Hut haben. Zurecht gibt es deshalb nicht wenige Veganer*innen, die diese Produkte nicht kaufen würden. 

Warum landet der vegane Lachsschinken dann aber trotzdem regelmäßig in meinem Einkaufswagen?

Das tut er, weil ich am Ende eben doch mehr Argumente finde, die dafür sprechen, diese nicht-veganen Firmen zu unterstützen. Und dass mir die Produkte auch einfach sehr gut schmecken ist da tatsächlich der kleinste Grund. 

Der Mere-Exposure Effekt: Veganismus normalisieren

Marken haben eine enorme Wirkkraft. Das ist ja erstmal nichts Neues. Nicht umsonst haben sich erst kürzlich die Gerüchte zum Plantbased Nutella rasend schnell verbreitet.

Jedes Mal, wenn ich davon erfahre, dass eine weitere, lang etablierte Marke den Schritt geht, ein veganes Produkt in die Supermärkte zu bringen, freue ich mich unheimlich. Denn das bedeutet, dass die Werbeflächen der Supermärkte – die Supermarktregale – künftig mit noch einem Produkt mehr ausgestattet sein werden, welches auf die Existenz dieser Alternativen hinweisen. An allen Ecken und Enden werden Menschen immer wieder erinnert: Hier, guck mal, mich gibts auch pflanzenbasiert, oder vegetarisch, oder vegan. Dabei geht es mir nicht mal um den wirklichen Anteil am Absatz, den vegane Produkte im Endeffekt generieren, sondern es geht um die Wirkkraft, die die bloße Existenz dieser Produkte schon innehat: Jedes einzelne von ihnen hilft dabei, dem Veganismus eine alltägliche Bühne zu geben – und ihn damit zu normalisieren.

Unser Ruf eilt uns voraus

Und das haben wir und die veganen Produkte auch nötig. Eine Studie belegte erst kürzlich, was ich auch schon ganz lang vermute: Das Label “vegan” ist – gelinde gesagt – unbeliebt.

Wenn man mich fragt, kann man sogar so weit gehen zu sagen: Ja, „vegan“ hat ein Image-Problem. Denn bevor man überhaupt über das „Warum“ und das „Wie“ des Veganismus reden kann, gehen bei zu vielen Menschen schon bei bloßer Erwähnung des Begriffs “vegan” die Alarmglocken an. Vorurteile lassen Grüßen – und blockieren gleichzeitig oft das Gespräch.

Nun haben wir mit der Omnipräsenz der veganen Kennzeichnungen im Supermarkt, so klein oder groß sie im Einzelfall auch sein mag, aber einen großen Vorteil: Sie helfen dabei, den Veganismus zu normalisieren.  Der Begriff “Mere-Exposure-Effekt” beschreibt das Phänomen, dass sich Dinge für die menschliche Psyche umso mehr normalisieren, je öfter man sie sieht. Heißt also angewandt auf den Veganismus: Je mehr Produkte es in den Regalen gibt, die pflanzenbasiert sind, desto normaler werden sie. Desto weniger sind sie “das Andere”, das Unbekannte. Das, was gar nicht schmecken kann. Vor allem wenn es Produkte von Marken sind, die einen hohen Wiedererkennungswert haben und bei vielen Deutschen große Beliebtheit genießen.

Messbarer Wandel: Der Euro bewirkt etwas 

Und was für mich ebenfalls für einen Kauf dieser Produkte spricht: Die schon jetzt messbare Veränderung bei den Firmen selbst. Noch 2016 berichtete Merkur.de: Bei der Rügenwalder Mühle seien zwar erste vegane und vegetarische Produkte in Produktion, es wurde aber noch kein Fleischgericht dafür vom Markt genommen. Konkret schrieben sie: “Der Umsatz durch ’normale‘ Wurstprodukte sei weitgehend stabil geblieben, eine langfristige Abkehr von Fleischprodukten sei nicht abzusehen.” 

Nun sieht das 2024 aber schon ganz schön anders aus: Erst kürzlich wurde verkündet, dass der Schinkenspicker, eines der Aushängeschilder der Rügenwalder Mühle, künftig nur noch vegan produziert wird. Ein riesiger Wandel! 

Schon im Geschäftsjahr 2021 machte Rügenwalder Mühle erstmals mehr Umsatz mit Fleischersatzprodukten als mit klassischer Wurst. Heute entfallen laut Unternehmensangaben insgesamt 60 Prozent des Umsatzes auf fleischlose Produkte. Sogar die Tatsache, dass die Führungsriege bei Rügenwalder Mühle sich die Frage gestellt hat, ob sich Fleischprodukte für sie irgendwann überhaupt noch lohnen werden – und ob die Produktion deshalb irgendwann komplett eingestellt wird – wurde öffentlich kommuniziert. 

Ich sehe da großes Potenzial. Im Endeffekt ist es akut nämlich erstmal egal, weshalb am Ende weniger Tiere leiden und sterben: Ob aus wirtschaftlichem Interesse oder tatsächlicher ethischer Überzeugung. Unterm Strich leiden kurzfristig weniger fühlende Lebewesen. Langfristig sieht das natürlich anders aus. Was passiert, wenn sich das Konsumverhalten doch wieder ändert, und doch wieder mehr Menschen Fleisch kaufen wollen? Eben weil ethisch nicht ordentlich kommuniziert und aufgeklärt wurde, welche Beweggründe der Veganismus eigentlich hat? 

Und wie funktioniert das langfristig?

An diesem Punkt, sollte er denn eintreffen, greift dann hoffentlich die Ernte des langfristigen Mere-Exposure-Effekts: Der Veganismus ist bis dorthin hoffentlich so entmystifiziert und stattdessen normalisiert, dass sich sowieso schon mehr Menschen dafür geöffnet haben, sich mit seinen ethischen Beweggründen auseinanderzusetzen. Und hoffentlich haben sie diese dann auch für konsequent nachvollziehbar befunden – und für sich selbst umgesetzt. So dass das Szenario, dass die Firmen aus purem wirtschaftlichem Interesse wieder auf Fleischproduktion umstellen, erst gar nicht eintreten kann.

Böse Zungen mögen mir hier Naivität vorwerfen – wie es sich wirklich entwickelt, kann aber so oder so nur die Zeit zeigen. Und in der Zwischenzeit kaufe ich weiterhin, bedacht, den veganen Lachsschinken vom Geflügelproduzenten. 

Jetzt interessiert mich aber ganz brennend: Wie seht ihr das? Ich freu mich, wenn ihr eure Gedanken mit mir teilt – gerne in den Kommentaren bei Instagram, in den Privatnachrichten oder per Mail. 

Artikel teilen