Vor drei Jahren deckte SOKO Tierschutz durch Undercover-Aufnahmen Fälle von schwerer Tierquälerei in einem Großbetrieb im Allgäu auf. Nun wurden die zwei verantwortlichen Landwirte wegen Tierquälerei bei mehreren Dutzend Rindern zu Haftstrafen verurteilt.

Die Tierwohlverstöße wurden erstmals im Juli 2019 publik, als Tierrechtsaktivisten der Organisation SOKO Tierschutz Aufnahmen aus einem Stall eines Milchviehhalters in Bad Grönenbach im Allgäu veröffentlichten. Zum Zeitpunkt der Aufnahme hatte der Betrieb mehr als 2.000 Rinder. „Die Videos belegen, wie einer der größten bayerischen Milchbauern auf seinem Hof seine Tiere quält und sie tagelang leiden lässt – und das, obwohl Behörden den Betrieb regelmäßig kontrollieren.“, schrieb damals die Süddeutsche Zeitung. SOKO überwachte den Betrieb Tag und Nacht über vier Wochen lang. Auf den Undercover-Aufnahmen war unter anderem zu sehen, wie Kühe wie leblose Gegenstände von einem Ort zum nächsten geschleift wurden oder in einem sogenannten Krankenstall ohne medizinische Versorgung verendeten. Sie zeigten stark abgemagerte Kühe, Tiere mit offenen Wunden und welche, die im Sterben lagen. Auf den Videos ist zu sehen, dass der Familienbetrieb seine Tiere länger leiden lässt, als gesetzlich erlaubt ist. Die Aufnahmen waren Anstoß für weitere Ermittlungen und der Anfang des Allgäuer Tierschutzskandals, von dem noch zwei weitere Milchviehbetriebe betroffen waren.

Nun wurden die beiden Angeklagten, der 25-jährige Sohn M. Endres und sein 68-jähriger Vater F. Endres, für ihre Taten verurteilt. Der junge Landwirt wurde vom Landgericht Memmingen zu zwei Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt und darf zudem fünf Jahre lang keine Tiere mehr halten. Sein Vater erhielt eine Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. „Das zeigt, dass die Justiz in Bayern Tierschutz ernst nimmt und Fälle öffentlich aufgearbeitet werden. Tierquälerei muss Gefängnis bedeuten. Hier am Landgericht Memmingen wurde Tierschutzgeschichte geschrieben“, so der SOKO-Vorsitzende Friedrich Mülln.

Laut dem zuständigen Richter zeugten die Taten der Landwirte von «Ignoranz gegenüber dem Tierschutz». Beide Angeklagte hätten sich zahlreichen Aufforderungen der Behörden, die Zustände auf ihren Höfen zu verbessern, beharrlich verweigert. Zudem erklärte die Staatsanwaltschaft, dass Leid und Niedergang von Tieren aus Unterlassen gleichwertig wie aktive Taten gelten. „Dass das jetzt endlich angemessen geahndet wird, ist ein großer Erfolg für den Tierschutz und schafft endlich Abschreckung“. Zudem müsse das Urteil eine «Signalwirkung» auf andere Verfahren haben, forderte Mülln. „Wir brauchen eine effektive Abschreckung in der industriellen Landwirtschaft, sonst bleibt es nur an uns Tierschutzorganisationen dagegen zu kämpfen, und das ist dann wirklich ein schwieriges Unterfangen.“

Neue Recherchen von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung zeigen, dass mehr als 50 Landwirte und Unternehmen, die in den vergangenen Jahren öffentlich wegen Tierquälerei aufgefallen sind, in den Folgejahren von der Europäischen Union weiterhin Agrarsubventionen erhielten – zum Teil in Millionenhöhe. Viele von von ihnen wurden sogar zuvor von Gerichten oder Behörden für die Verstöße bestraft.

Die Reporter von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung glichen die weit über 100 von den Tierschutzorganisationen SOKO Tierschutz, Tierretter e.V., Deutsches Tierschutzbüro, ARIWA und PETA in den vergangenen aufgedeckten Fällen von Tierquälerei mit einer neuen Subventions-Datenbank der Nichtregierungsorganisationen FragDenStaat und Arena for Journalism in Europe ab. Der Abgleich zeigte, dass mehr als 50 Landwirte und Firmen, die durch die aufgedeckten Fälle wegen Tierquälerei aufgefallen sind, in den Folgejahren weiterhin EU-Agrarsubventionen erhielten, obwohl einige von ihnen sogar von Gerichte oder Behörden für die Verstöße bestraft wurden. 

Nur ein Prozent aller Antragssteller für EU-Agrarsubventionen müssen jedes Jahr von den Veterinärämtern überprüft werden. Verstöße der Auflagen, beispielsweise zu Umwelt- oder Tierschutz, können mit Subventionskürzungen geahndet werden. Das geschieht laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft bei „fahrlässig begangenen Erstverstößen“ in der Regel nur bei drei bis fünf Prozent der Subventionen. Nur bei „erheblicher Dauer, erheblichem Ausmaß und erheblicher Schwere“ sowie nachgewiesenem Vorsatz können Subventionen im Folgejahr abgewiesen werden. 

Ernährungs- & Landwirtschaftsminister Cem Özdemir lud Ende Juni 150 Vertreterinnen und Vertreter aus u.a. Verbraucherschutz, Ernährungswirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu einer virtuellen Auftaktveranstaltung für die Erarbeitung der neuen Ernährungsstrategie der Bundesregierung ein. Unter den Gästen befand sich auch die Ernährungsorganisation ProVeg, die den neuen Ansatz des Bundesministeriums unterstützt. Denn das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat als Kernziel der Strategie die Förderung einer gesünderen, ressourcenschonenden und pflanzenbasierten Ernährung festgelegt. Dabei sollen auch aktuelle Probleme wie die steigenden Lebensmittelkosten berücksichtig werden. Dazu gehöre auch, insbesondere vulnerable Gruppen, Kinder und Menschen mit Einwanderungsgeschichte besser als bisher zu erreichen.

Die neue Ernährungssstrategie wird bis Ende 2023 unter der Führung des BMEL von der Bundesregierung erarbeitet. Laut BMEL soll die Strategie ernährungspolitische Ziele und Leitlinien vorgeben, Handlungsfelder definieren und konkrete, möglichst messbare Maßnahmen beinhalten. 

Die zentralen Ziele der neuen Ernährungsstrategie sind:

„Die Strategie ist eine einmalige Gelegenheit, längst überfällige Anpassungen vorzunehmen und Innovationen zu fördern, die Deutschlands Ernährungssystem zukunftssicher machen“, erklärt Jens Tuider, Internationaler Leiter bei ProVeg.

Der schweizer Bundesrat hat Ende Juni den Bericht «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» veröffentlicht. Darin wird aufgezeigt, wie die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft die Vision des Bundesrats für 2050 – Ernährungssicherheit durch Nachhaltigkeit von der Produktion bis zum Konsum – umsetzen könnte. Laut dem Bericht sollen zudem u.a. die Klima- & Tierwohlauswirkungen von Produkten transparenter werden: „Damit die notwendigen Verbesserungen in Richtung einer nachhaltigeren und tierfreundlicheren Produktion Tatsache werden, ist es wichtig, dass künftig die Konsumentinnen und Konsumenten die Herstellungsmethoden der Produkte bzw. deren Wirkung auf Klima und Tierwohl besser kennen und stärker berücksichtigen“ heißt es auf Seite 62 des Berichts.

Im Bericht legt der Bundesrat vier Stossrichtungen zur Erreichung der genannten Ziele fest: 

Die Ernährungsorganisation Swissveg kritisiert den Bericht für fehlende konkrete Maßnahmen, bezeichnet ihn aber dennoch als positiv zu wertendes Zeichen: „Die heutigen Probleme klar aufzuzeigen um daraus eine Politik zu formen, die das System zukünftig auf nachhaltigere und tierfreundlichere Bahnen lenkt, ist jedoch ein vielversprechender Ansatz.“, schreibt die Organisation in ihrer Analyse.

Wie das Statistische Bundesamt (DESTATIS) mitteilte, wurden 2021 in Deutschland 22,3 Millionen Schweine gehalten – das ist der niedrigste Schweinebestand seit der deutschen Vereinigung im Jahr 1990. Damals wurden 30,8 Millionen Schweine gehalten. Gegenüber dem Vorjahreswert vom 3. Mai 2021 stellt dies einen Rückgang von 9,8 %, also 2,42 Millionen Tieren dar. Laut dem Bericht zur Markt- und Versorgungslage mit Fleisch 2022 der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, sank der Import von lebenden Schweinen ebenfalls um 26,7 % und auch der Import von Schweinefleisch sank um 6,8 %.

Dieser jüngste Rückgang kann zwar unter anderem auch auf die reduzierten Schlachtkapazitäten aufgrund der Corona-Pandemie rückzuführen sein, jedoch setzt sich abseits dessen ein längerer Trend fort. Laut DESTATIS war die Anzahl der in der BRD und DDR zusammen gehaltenen Schweine in den 1960er Jahren vergleichbar niedrig, obwohl Deutschland damals etwa 10 Millionen Einwohner weniger hatte.

Neben den Tierbeständen war auch die Zahl der schweinehaltenden Betriebe rückläufig. Am 3. Mai 2022 gab es 17.900 schweinehaltende Betriebe. Das sind 5,2 % oder 1.000 Betriebe weniger als noch im November 2021. Der Schweinebestand ging damit im vergangenen Halbjahr prozentual stärker zurück als die Zahl der Betriebe, welche um 9,6 % (1 900 Betriebe) sank.

Am 30. März 2021 verbrannten 60.000 Tiere, von denen ungefähr 80% noch Ferkel waren, in einem verheerenden Großfeuer in einer Schweinezuchtanlage in Alt Tellin. Die Brandermittler gehen von menschlichem Handeln als Brandursache aus – ein technischer Defekt als Brandursache wurde ausgeschlossen. Nun hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt.

Binnen weniger Stunden brannten alle 18 Ställe mit einer Länge von jeweils 90 Metern der Mastanlage ab. Nur rund 1.300 Tiere konnten gerettet werden. Das Feuer habe gezeigt, dass Tiere aus derart großen Anlagen im Brandfall niemals evakuiert werden könnten, teilte der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern des Deutschen Tierschutzbundes mit und forderte „eine Agrarwende, die sich an den Bedürfnissen der Tiere orientiert.“ Dazu gehörten deutlich geringere Bestandszahlen, mehr Bewegungsfreiheit und Ausläufe. In Alt Tellin seien dagegen viele Sauen noch in Kastenständen fixiert gewesen, berichtet der Tagesspiegel

„Damit bleibt der Horrorbrand auch fast 15 Monate nach seinem Ausbruch ohne Schuldigen“, sagte Rüdiger Jürgensen von der Vier Pfoten Stiftung dazu. Der Großbrand in Alt Tellin sei das Symbol einer verfehlten Agrarpolitik. Einer „Politik, die auf billige Massenproduktion setzt, in welcher Tiere als Konsumgüter und nicht als Lebewesen begriffen werden“.

In einem offenen Brief an Landwirtschaftsminister Cem Özdemir kritisieren die Organisationen Foodwatch, PETA und 18 weitere die geplante Kennzeichnung der Haltungsbedingungen von tierischen Lebensmitteln. Die Tierhaltungskennzeichnung soll verbindlich Fleisch sowie Transport und Schlachtung umfassen und nach dem Vorbild der 0-1-2-3-Kennzeichnung auf Eiern gestalten werden. „Das Tierhaltungslabel ist ein staatliches Täuschungslabel, wenn den VerbraucherInnen vorgegaukelt wird, sie würden beim Einkauf über Wohl und Wehe der Tiere entscheiden.“, sagte Matthias Wolfschmidt, Tierarzt und internationaler Strategiedirektor von foodwatch. 

Die meisten Nutztiere litten unter vermeidbaren Krankheiten und Schmerzen, und zwar sowohl in konventionellen als auch in Biobetrieben, in kleinen Höfen ebenso wie in Tierfabriken. Ein Label, das alleine die unterschiedlichen Haltungsformen kennzeichnet, könne deshalb niemals eine Lösung für die massiven Tierschutzprobleme sein. Vielmehr brauche es gesetzliche Vorgaben. „Es ist nicht die Aufgabe des Landwirtschaftsministers, der ja auch Minister für Tierschutz ist, Verantwortung für den Tierschutz auf die Kaufentscheidung der Konsument:innen zu übertragen, sondern er ist verpflichtet, für die Umsetzung des Tierschutzgesetzes Sorge zu tragen“, sagte Dr. Claudia Preuß-Ueberschär von der Vereinigung Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft.

Niederländische Wissenschaftler haben die Auswirkungen der Umweltpolitik auf die landwirtschaftlichen Einkommen und die Produktion in der EU analysiert. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass das Erreichen der Ziele des sogenannten Green Deals der EU zu einem Rückgang der Viehzucht um 10-15% bis 2030 führen kann und die Zahl der Milchviehbetriebe bis 2030 sogar um durchschnittlich 32 % sinken könnte.

Der Deutsche Sojaförderring berichtete, dass sich in 2021 die Anbaufläche von Sojabohnen in Deutschland im Vergleich zum Stand von 2017 verdoppelt hat. Damit werden in Deutschland ca. zwei Millionen Tonnen Sojabohnen pro Jahr produziert und 40 -50 % des Bedarfs gedeckt.  Auch der Sojaförderring plädiert in seiner Pressemitteilung dafür die angebauten Sojabohnen vermehrt direkt als Sojaprodukte zu verzehren und den Konsum tierischer Produkte zu reduzieren.

Das japanische Startup-Unternehmen IntergriCulture, das sich auf Kostensenkungen im Bereich der zellulären Landwirtschaft spezialisiert hat, hat eine Finanzierung von mehr als 7 Millionen Dollar erhalten und möchte die Mittel für den Aufbau einer Infrastrukturplattform für die zelluläre Landwirtschaft verwenden.

“Die technische Entwicklung, die IntegriCulture in den letzten 18 Monaten erreicht hat, ist beeindruckend und wir glauben fest daran, dass ihr CulNet-System eine branchenbestimmende Technologie sein und die Zukunft der nachhaltigen, hochwertigen Proteinproduktion vorantreiben kann”, sagte Michael Dean, Gründungspartner von AgFunder.

Die neue niederländische Regierung hat Ende vergangenen Jahres einen 25-Milliarden-Euro-Plan vorgestellt, mit dem sie den Bestand an sogenannten Nutztieren um ein Drittel reduzieren will. Der auf 13-Jahre angelegte Ausstiegsplan sieht vor, Viehhalter für die Verlagerung oder den Ausstieg aus der Branche zu entschädigen und beim Übergang zu einer extensiveren Landwirtschaft zu helfen. Das Irish Farmers Journal geht allerdings davon aus, dass es als freiwilliges Programm beginnen wird.

Der Bauernpräsident Joachim Rukwied sieht den Trend zur veganen Ernährung nicht als Bedrohung für deutsche Landwirte, sondern als Chance. „Es sind ja wir Bauern, die die Rohstoffe für die Ersatzprodukte anbauen“, sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung. Das gelte beispielsweise für Hülsenfrüchte wie Kichererbsen, die dann zu Fleischersatz weiterverarbeitet werden.

In Sachen Tierschutz in der industriellen Tierhaltung scheint sich in Deutschland seit einigen Jahren einiges zum Wohle der Tiere zu verbessern. So machen viele Werbeslogans und Tierschutzlabels augenscheinlich die Hoffnung Milch würde von glücklichen Kühen stammen und Eier von fröhlichen Hühnern gelegt werden. Somit scheint es zunächst nicht verwunderlich, dass bis heute viele Menschen denken, der Konsum von Eiern würde nicht zum Leid und zur Tötung von Küken und Hühnern beitragen. Dass es sich dabei um eine gut vermarktete Illusion handelt, wurde einigen Menschen bewusst, als sich medial immer mehr Videos verbreiteten, in denen das Schreddern oder Vergasen von frisch geschlüpften Küken gezeigt wurde.



Circa 45 Millionen männliche Küken wurden bis zu diesem Jahr jährlich in Deutschland kurz nach ihrer Geburt getötet.1 Hintergrund dieser traurigen Zahl sind verschiedene Zuchtlinien, die es angesichts ökonomischer Vorteile für die kommerzielle Geflügelzucht seit den 1960er Jahren gibt: Masthühner, die zur Produktion von Fleisch auf die Mast ausgerichtet sind und Hühner, die auf immer höhere Legeleistungen hin gezüchtet wurden. Männliche Tiere aus der Legehennenlinie setzen daher sehr viel langsamer und insgesamt weniger Fleisch im Vergleich zur Mastlinie an. Aufgrund des damit verbundenen verringerten Profits bei der Aufzucht dieser Tiere, wurden diese bisher kurz nach dem Schlupf getötet.2

Das Verbot des Tötens von Küken in Deutschland

Im Juni 2019 hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass das Töten männlicher Küken gemäß dem Tierschutzgesetz nur noch übergangsweise zulässig ist, da die wirtschaftlichen Interessen kein vernünftiger Grund für das Töten der Küken darstellten.3 Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft legte daraufhin im Jahr 2020 einen Gesetzesentwurf zum stufenweisen Ausstieg aus dem Kükentöten vor, welches der Deutsche Bundestag daraufhin am 20. Mai 2021 beschlossen hat. Darauf basierend ist am 01. Januar 2022 das Verbot des Tötens von Hühnerküken in Kraft getreten. Am 01. Januar 2024 wird zudem die zweite Stufe des Gesetzes, das Verbot für Eingriffe am Hühnerei nach dem 6. Bebrütungstag, rechtskräftig. Diese Stufe beruht auf der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis, dass der Hühnerembryo im Ei nach dem siebten Bebrütungstag in der Lage ist Schmerz zu empfinden.4

Im Zuge dieses Gesetzes schlägt der Bund außerdem verschiedene Alternativen zum Töten der Küken vor. Eine dieser Alternativen sind Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im brütenden Ei, um vor dem Schlupf das Geschlecht des sich entwickelnden Kükens zu bestimmen und dieses so frühzeitig auszusortieren. Hierbei werden bereits seit einigen Jahren verschiedene Technologien erforscht und vom Bund gefördert, mit denen dieses Vorhaben gelingen soll.5 Diese Methoden finden zwar vereinzelt Anwendung, erfüllen bisher allerdings nicht die Anforderungen vor dem 7. Bruttag eingesetzt werden zu können.6 Nach aktuellem Kenntnisstand gibt es kein marktfähiges Verfahren, welches dieses Kriterium erfüllt.7 Eine zweite beschriebene Alternative ist die Mast der männlichen Hühner zur Fleischproduktion, die als sogenannte „Brüderhähne“ bezeichnet werden. Wie jedoch beschrieben, ist die Aufzucht der männlichen Tiere mit höheren wirtschaftlichen Kosten verbunden, da diese Tiere weniger schnell wachsen und insgesamt weniger Fleisch ansetzen. Die vermehrten Kosten sollen durch höhere Preise auf Eier- und Hühnerfleischprodukte entlohnt werden. Bio-Initiativen setzen die Bruderhahnaufzucht bereits vermehrt um, doch derzeit bestehen keine gesetzlichen Mindestanforderungen für die Aufzucht und Schlachtung dieser Tiere.8 Eine dritte Alternative stellt der Einsatz von sogenannten „Zweinutzungshühnern“ dar. Hierbei handelt es sich um eine Hühnerrasse, die sowohl zur Fleischerzeugung als auch zur Herstellung von Eiern genutzt werden kann.9 Diese Hühner erreichen nicht die Leistungen der Mast- und Legehühner, sollen jedoch gesünder sein und dafür sorgen, dass jedes Tier „genutzt“ werden kann und einen wirtschaftlichen Wert besitzt.

Warum das Leiden der Hühner kein Ende hat

Auf den ersten Blick scheinen die beschriebenen Entwicklungen ein Schritt in Richtung mehr Tierwohl zu sein. Man könnte es durchaus als einen positiven Ansatz betrachten, dass nun per Gesetz männlichen Küken als Lebewesen ein Eigenwert zugesprochen wird. Allerdings stellt es aus Perspektive des Tierschutzes mehr als eine Verbesserung auf theoretischer Ebene dar.10 Da man sich gesellschaftlich mehrheitlich einig ist, dass das Vergasen und Schreddern von Küken kurz nach dem Schlüpfen grausam ist, aber die generelle Nutzung von Hühnern als Ressource nicht moralisch hinterfragt wird, kann man sich die Frage stellen, ob das Verbot des Kükentötens für einige Menschen zur Rechtfertigung dient Eier wieder guten Gewissens essen zu können. Dieser Eindruck wird von sogenannten Tierwohllabels unterstützt, indem sie Verbrauchern beim Kauf von Eiern das gute Gefühl geben einem „Bruderhahn“ ein schönes Leben zu schenken und mit dem Kauf der entsprechenden Eier Tierwohl zu unsterstützen. Leider könnte diese Suggestion nicht irreführender sein.

Obwohl aus der wissenschaftlichen Datenlage hervorgeht, dass bereits ab dem 7. Bebrütungstag ein Schmerzempfinden des Hühnerembryos im Ei anzunehmen ist, werden dennoch bis zum Jahr 2024, statt der frisch geschlüpften Küken, die bereits schmerzempfindlichen Embryonen getötet.11 Allgemein könnten laut Vermutungen einiger Experten der Geflügelwirtschaft die erhöhten Investitionskosten der Technologie der Geschlechtsbestimmung für kleinere Brütereien finanziell nicht zu stemmen sein. Dies könnte schließlich zu vermehrten Lebendtiertransporten der männlichen Küken über die deutsche Grenze ins EU-Ausland führen, um sie dort töten zu lassen. Dieses Vorhaben ist laut aktueller Gesetzeslage nicht verboten.12 Eine weitere Möglichkeit ist, dass einige Brütereien ihren Standort ins Ausland verlegen, um dort die Praxis des Kükentötens weiter zu praktizieren und Jung- und Legehennen anschließend nach Deutschland importieren, ohne dass dies für die Verbraucher ersichtlich ist.13 Und auch wenn bis zum Jahr 2024 eine marktreife Methode zur Geschlechtsbestimmung vor dem 7. Bruttag gefunden wird, ändert sich nichts an den bisherigen Bedingungen für Hühner im Rahmen der Intensivtierhaltung.

Bezogen auf die Legehennen leben etwa drei Viertel der knapp 50 Millionen Tiere mit mehr als 30.000 Tieren auf engstem Raum. In Bodenhaltung dürfen bis zu 9 Hennen auf einem Quadratmeter ohne Ausgang ins Freie gehalten werden. In „Kleingruppenhaltung“ sind es sogar bis zu 13 Hennen und selbst in Biohaltung sind es bis zu 6 Hennen pro Quadratmeter.14 Und auch in der auf den ersten Blick „artgerechten“ Freilandhaltung zeigt sich, dass die Tiere die landwirtschaftlichen Großställe nicht verlassen, um ihre Auslauffläche zu nutzen, da Hühner Fluchttiere sind. Ihre Angst vor Greifvögeln führt ungeachtet der Größe der Auslauffläche dazu, dass die Tiere den Stall nicht verlassen, da sich die Hühner auf einer freien Grünfläche ohne ausreichend Bepflanzung nicht sicher fühlen und lieber dicht gedrängt im Stall verbleiben.15 Die Gestaltung der Fläche ist gesetzlich nicht festgeschrieben und somit frei wählbar. Weiterhin leiden viele Millionen Legehennen unter starker Osteoporose und damit einhergehend unter vielerlei Knochenbrüchen. Die Hochleistungszucht der heutigen Legehennen, die bis zu 300 Eier und mehr pro Jahr legen, benötigen unverhältnismäßig viel Calcium für die Eierschalenbildung, was zu einer Demineralisierung der Hühnerknochen führt und letztendlich zu den genannten Knochenbrüchen. Lässt nach 16 bis 18 Monaten die Legeleistung der Henne nach, gilt diese als unökonomisch und wird schließlich geschlachtet. Da Hühner ursprünglich nur in Gruppen von höchstens 50 Tieren lebten, können diese in den deutlich größeren Gruppen, in denen sie heutzutage gehalten werden, keine stabile Rangordnung aufbauen und entwickeln dadurch Verhaltensstörungen wie Federpicken. Trotz des gesetzlichen Verbots ist es aufgrund von Ausnahmeregelungen leider immer noch gängige Praxis, den Legehennen den vorderen Teil ihres Schnabels abzuschneiden (kupieren), um Verletzungen durch die Verhaltensstörungen zu verhindern. Diese Verletzungen des empfindlichen Tastorgans verursachen akute sowie chronische Schmerzen und führen dazu, dass die Hühner ihr Gefieder nicht richtig pflegen können.16

Auch die bereits beschriebene Alternative der Aufzucht der Bruderhähne ändert nichts am Leid dieser Tiere. Grund dafür sind unter anderem fehlende gesetzliche Mindestanforderungen für die Aufzucht und Schlachtung dieser Hähne. Aufgrund der ökonomischen Nachteile bei der Aufzucht der Bruderhähne werden diese in der Regel unter hohen Besatzdichten, ohne Auslauf und Tageslicht gehalten.17 Weiterhin bestehen Befürchtungen vieler Experten, neben vermehrter langer Lebendtiertransporte von Küken, auch in einem Anstieg von Transporten der Schlachttiere ins Ausland, da die Schlachtkapazitäten in Deutschland begrenzt sind und die Brüderhähne aufgrund des schmaleren Körperbaus im Vergleich zum Masthuhn nicht mit den gleichen Maschinen geschlachtet werden können.

Die Experten gehen außerdem davon aus, dass durch die in Deutschland nun steigenden Kosten in der Eiproduktion vermehrt Eier aus dem Ausland importiert werden, in denen das Töten der Küken nach wie vor erlaubt ist. Da circa die Hälfte des Eierverbrauchs in Deutschland auf verarbeitete Produkte wie Nudeln oder Backwaren zurückgeht und es hierfür keine Kennzeichnungspflicht gibt, ist es für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nachvollziehbar woher ihre Eier stammen.18,19

Die dritte benannte Alternative des sogenannten Zweinutzungshuhns erscheint vor dem Hintergrund der Leiden der heutigen Qualzuchten der Mast- und Legelinien zunächst positiv. Doch auch die Zweinutzungshühner haben im Vergleich zu den ursprünglichen Hühnerrassen eine noch immer hohe Legeleistung, die zu den genannten gesundheitlichen Problematiken führen kann. Obwohl diese Tiere zwar allgemein als gesundheitlich „robuster“ gelten20 ändert auch die Rückkehr zum Zweinutzungshuhn nichts daran, dass es – wie der Name schon sagt – ausschließlich zur Eier- und Fleischproduktion genutzt wird. Weiterhin finden auch dabei Transporte in Legehennen- und Mastanlagen und schließlich auch zum Schlachthof statt. Außerdem verspricht diese Alternative ebenfalls keine verbesserten Haltebedingungen.

Der Konsum von Eiern fördert folglich, egal mit welcher der vom Gesetzgeber vorgeschlagenen Alternativen zum Kükentöten, die Ausbeutung und Tötung von Hühnern. Aus Perspektive der Tierethik erscheint das Ende des Kükentötens teilweise mehr als ein verlängerter Leidensprozess. Solange wir uns anstatt der Frage nach den richtigen Haltungs- und Tötungsmethoden nicht die Frage stellen, ob wir sogenannte „Nutztiere“ nur noch als Produkte ansehen, und nicht als fühlende Lebewesen mit eigenem Interesse nach einem leidensfreien Leben betrachten, werden immer wieder neue ethische Probleme bei der Suche nach Maßnahmen zur „besseren“ Ausbeutung von Tieren aufkommen. Da der menschliche Körper zur Nährstoffdeckung im Rahmen einer gut geplanten und ausgewogenen pflanzlichen Ernährung nicht auf Eier angewiesen ist, gilt auch hier der Grundsatz des Veganismus „alle Formen der Ausbeutung und Grausamkeiten an leidensfähigen Tieren zu vermeiden“.21

Autorin: Verena Krah arbeitet als Sport- und Gesundheitswissenschaftlerin im Bereich Public Health, hat großes Interesse an tierethischen Themen und lebt aus Überzeugung vegan.

Co-Autorin: Katharina Frauenknecht ist Chefredakteurin bei VeganNews

Quellen

  1. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. (2021). Ausstieg aus dem Kükentöten. Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/tierwohl-forschung-in-ovo.html ↩︎
  2. Maisack, C. (2019). Wie lange gibt es für das Töten von männlichen Eintagsküken aus Legehennenlinien noch einen vernünftigen Grund? Natur und Recht 41, 824–827. https://doi.org/10.1007/s10357-019-3617-1 ↩︎
  3. Bundesverwaltungsgericht. (2019). Töten männlicher Küken tierschutzrechtlich nur noch übergangsweise zulässig. Pressemitteilung Nr. 47/2019. Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.bverwg.de/pm/2019/47 ↩︎
  4. Bundesgesetzblatt. (2021) Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes – Verbot des Kükentötens. Vom 18. Juni 2021. Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.bgbl.de/ ↩︎
  5. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. (2021). Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes – Verbot des Kükentötens. https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Glaeserne-Gesetze/Kabinettfassung/aenderung-tierschutzgesetzkueken.pdf?__blob=publicationFile&v=5 ↩︎
  6. Fokus Tierwohl (2022). Geschlechtsbestimmung im Ei. Aktueller Forschungsstand und fachliche Einordnung. Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://fokus-tierwohl.de/de/gefluegel/fachinformationen-jung-undlegehennen/geschlechtsbestimmung-im-ei ↩︎
  7. Tagesschau. (2021). Tierschutzbund zum Kükentöten. Neues Gesetz „nicht konsequent genug“. Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.tagesschau.de/inland/kuekenschreddern-107.html ↩︎
  8. Der Deutsche Tierschutzbund e.V. (2020) Stellungnahme zu: Referentenentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 08.09.2020. Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Glaeserne-Gesetze/Stellungnahmen/aenderungtierschutzgesetz-kueken.pdf?__blob=publicationFile&v=2 ↩︎
  9. Öko-Beratungs Gesellschaft mbH und Erzeugerring für naturgemäßen Landbau e.V. Zweinutzungshuhn (2018). Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.naturland.de/de/erzeuger/betriebszweige/gefl%C3%BCgelhaltung/zweinutzungshuhn.html ↩︎
  10. Fokus Tierwohl (2022). Geschlechtsbestimmung im Ei. Aktueller Forschungsstand und fachliche Einordnung. Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://fokus-tierwohl.de/de/gefluegel/fachinformationen-jung-undlegehennen/geschlechtsbestimmung-im-ei ↩︎
  11. Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung e.V. (2020). Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMEL Sechstes Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes (TierSchGÄndG 6). Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Glaeserne-Gesetze/Stellungnahmen/aenderung-tierschutzgesetzkueken.pdf?__blob=publicationFile&v=2 ↩︎
  12. Carstens, P. (2022). Ende des Kükentötens: Was passiert jetzt mit den „Bruderhähnen“? Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.geo.de/natur/tierwelt/ende-des-kuekentoetens–was-passiert-jetzt-mit-den–bruderhaehnen– –31480732.html ↩︎
  13. Der Deutsche Tierschutzbund e.V. (2020) Stellungnahme zu: Referentenentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 08.09.2020. Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Glaeserne-Gesetze/Stellungnahmen/aenderungtierschutzgesetz-kueken.pdf?__blob=publicationFile&v=2 ↩︎
  14. Rittenau, N., Schönfeld P. und Winters, E. (2021). Vegan ist Unsinn! Populäre Argumente gegen den Veganismus und wie man sie entkräftet. Becker Joest Volk Verlag ↩︎
  15. Körner, J. und Nachtnebel, P. (2015). Freiland-Eier häufig eine Mogelpackung. Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Freiland-Eier-haeufig-eine-Mogelpackung,freilandeier100.html ↩︎
  16. Rittenau, N., Schönfeld P. und Winters, E. (2021). Vegan ist Unsinn! Populäre Argumente gegen den Veganismus und wie man sie entkräftet. Becker Joest Volk Verlag ↩︎
  17. Carstens, P. (2022). Ende des Kükentötens: Was passiert jetzt mit den „Bruderhähnen“? Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.geo.de/natur/tierwelt/ende-des-kuekentoetens–was-passiert-jetzt-mit-den–bruderhaehnen- –31480732.html ↩︎
  18. Der Deutsche Tierschutzbund e.V. (2020) Stellungnahme zu: Referentenentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 08.09.2020. Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Glaeserne-Gesetze/Stellungnahmen/aenderungtierschutzgesetz-kueken.pdf?__blob=publicationFile&v=2 ↩︎
  19. Carstens, P. (2022). Ende des Kükentötens: Was passiert jetzt mit den „Bruderhähnen“? Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.geo.de/natur/tierwelt/ende-des-kuekentoetens–was-passiert-jetzt-mit-den–bruderhaehnen- –31480732.html ↩︎
  20. Siekmann L., Janisch, S., Wigger, R., Urban J., Zentek J. und Krischek C. (2018). Lohmann Dual: A dual-purpose chicken as an alternative to commercial broiler chicken? Aspects of meat quality, lipid oxidation, shear force and muscle structure. European poultry science, (82) ↩︎
  21. The Vegan Society. (1979). Memorandum and Articles of Association. Zugriff am 10. Januar 2022. Verfügbar unter https://www.vegansociety.com/sites/default/files/uploads/downloads/VeganSocietyArticles2021%20v2a.pdf ↩︎